Heiße Tage

Written by Motte

Heiß, es war unglaublich heiß. Die Sonne schickte auf direktem Weg und ununterbrochen von Wolken ihre Strahlen auf die Erde und schien den Asphalt zum Glühen zu bringen. Alles fühlte sich an wie in einem enormen Backofen. Die Türen und Fenster der Häuser waren fest verrammelt und die Vorhänge, Jalousien und Fensterläden ausnahmslos verschlossen. Keine Menschenseele traute sich vor die Tür. Lieber blieben sie in den, zumindest zum Teil kühlen Gebäuden und warteten auf den Abend. Selbst die Möwen, die sonst kreischend über dem Strand und der Stadt kreisten, saßen träge auf dem Wasser und schaukelten über die Wellen. Einzig eine alte Frau bewegte sich langsam durch die Gassen, wo sie die Planen, die von Dach zu Dach gespannt waren, wenigstens vor der Sonnenstrahlung schützten. Heiß und drückend war es trotzdem, doch auf die Frau machte das keinen Eindruck. Sie hatte schon viel schlimmere Sommer erlebt. 

Laut hallte das Geräusch ihres Stocks, den sie auf den Boden setzte, und das sonst so leise Schlurfen, mit dem sie sich fortbewegte, von den Hauswänden wieder. Bis auf das Ferne Rauschen des Meeres gab es keine anderen Geräusche. An anderen Tagen waren diese Gassen vollgestopft mit Menschen. Körper drängte sich an Körper vorbei. Die Lautstärke der vielen unterschiedlichen Gespräche war immens. Dann gingen die Laute, mit denen die alte Frau lief unter, doch heute gab es keine anderen. 
Am Ende der Gasse wartete die brütende Promenade auf sie. Ebenfalls leer. Ganz dicht an den Häusern, unter den Markisen der vielen Souvenirläden und Cafés, fand die Frau ein wenig Schatten. Es war nur ein sehr schmaler Streifen, je nach Markise ein wenig größer oder kleiner, doch die Frau war alt und schon ein ganzes Stück geschrumpft. Außerdem hatte sie eine sehr schmale, gebrechliche Figur, die man gut vor der Sonne schützen konnte. 
Die meisten der Geschäfte waren geschlossen und in den wenigen, die geöffnet waren, konnte man keinen einzigen Besucher entdecken. Nach ein paar Metern, sie war an einer Eisdiele und zwei Souvenirläden vorbei gekommen, wovon in einem der beiden Läden eine gelangweilte Verkäuferin am Tresen gesessen und an einem Getränk geschlürft hatte, erreichte die alte Frau ein, dem Anschein nach, sehr altes Café. Wie alt es jedoch in Wahrheit war zeigte das Äußere nicht. Denn eigentlich wurden darin schon seit der Geburt der nun alten Frau Gäste bedient. 
Mit einem leisen Schnaufen drückte sie gegen die Tür, die sich daraufhin langsam öffnete. Es fühlte sich fast so an, als würde das mit jedem Besuch im Café schwieriger. Es musste am Alter liegen. Drinnen war es nicht gerade kühl, aber dennoch deutlich angenehmer als auf den Straßen. Die junge Frau hinter der Theke hob erstaunt den Kopf als das wohlklingende Bimmeln der Glöckchen, die von der Tür angestoßen wurden, ertönte. In ihrer von der Hitze erschöpften Miene war deutlich abzulesen, dass sie an diesem Tag mit keinem Besucher mehr gerechnet hatte. Hektisch legte sie die Zeitschrift in der sie geblättert hatte weg und sprang von dem Hocker auf dem sie gesessen hatte auf. 
,,Machen sie vorsichtig, bei diesem Wetter sollte niemand zu schnelle Bewegungen machen Alba." 
Die alte Frau lächelte der jüngeren zu und setzte sich an einen Tisch, der eine schöne Aussicht auf das Meer bot. 
,,Ach, sie sind's, Maravilla! Ich komme gleich zu ihnen", sagte die Frau, die Alba hieß und verschwand in einem kleinen Raum, von dem Maravilla wusste, dass es eine Art kleine Küche und Bäckerei war. Zufrieden nickend lehnte sie ihren Stock an die Wand und wartete. Aus dem Hinterraum klangen das Klappern von Geschirr und Kochen von Wasser. Nach einer Weile kam Alba wieder zurück und stellte ein Stück Kuchen und eine Tasse Tee vor Maravilla auf den Tisch. 
,,Wollen sie wirklich den Tee? Ich kann ihnen sonst auch noch etwas anderes bringen, das wäre..." 
,,Nein danke, sie wissen doch, wenn es warm ist, sollte man lieber etwas warmes Trinken, gerade ich in meinem Alter sollte auf so etwas hören, meinen sie nicht?", unterbrach Maravilla die Kellnerin freundlich. 
Diese nickte: ,,Ja, da haben sie wohl Recht. Na, dann wünsche ich ihnen einen guten Appetit."
Mit diesen Worten lächelte Alba der alten Frau zu und verzog sich wieder hinter den Tresen. In der Zeit darauf hörte man nur das Brummen des alten Ventilators, der nichts tat als die erhitzte Luft und etwas Staub aufzuwirbeln, dem Rascheln der Seiten, das entstand, wenn Alba in ihrer Zeitschrift blätterte und dem gelegentlichen Schlürfen, wenn Maravilla kleine Schlucke von ihrem Tee nahm. Es kam selten vor, dass hier so wenig Betrieb herrschte. An jedem anderen Tag waren mindestens zwei der Tische besetzt und an der Theke stand eine mal längere, mal kürzere Schlange von Menschen, die etwas zum Mitnehmen bestellen wollten. So war es schon seit Ewigkeiten. Seit Maravillas Vater damals das Café eröffnet hatte. Früher war Maravilla selbst häufig die Person gewesen, die die vielen Leute bediente und sich dabei zu Tode schwitzte. Dann irgendwann hatte sie die Leitung des Cafés übernommen und andere Leute angestellt. Dennoch war sie noch sehr häufig im Laden gewesen und hatte dafür gesorgt, dass die Gäste zufrieden waren. Allein schon um sich das Geld für eine weitere Bedienung zu sparen. Aber auch einfach, weil sie gerne hier war. Dann, nicht viel später, hatte Maravilla Albert kennen gelernt und das Café, wie so vieles andere, für ihn aufgegeben. So also hatte sie es verkauft und die Abende anstatt erschöpft Zuhause vor dem Fernseher mit Albert bei irgendwelchen Partys für Reiche weit entfernt von dieser Stadt verbracht. Als Albert sie dann hatte fallen lassen war Maravilla zurückgekehrt, nur um festzustellen, dass sie eigentlich nichts mehr hatte. Durch den wohl glücklichsten Zufall ihres Lebens hatte Maravilla dann Benedikt kennen gelernt. Mit Benedikt hatte sie von da an ihr Leben geteilt, war mit ihm viel gereist und hatte mit ihm viel erlebt. Vor nicht allzu langer Zeit war er schließlich gestorben. Seitdem trank Maravilla nun jeden Nachmittag einen Tee im Café, in dem sie niemand als die ehemalige Besitzerin erkannte. Wenn sie dort saß konnte sie fast auf ihr gesamtes Leben zurückblicken. Denn hier war sie im Laufe dessen immer wieder gewesen und verband viel Glückliches damit. Sogar Benedikt hatte Maravilla dort kennen gelernt. 
Wenn sie die Vitrinen anschaute konnte sie sich selbst als kleines Mädchen davor stehen sehen, das mit großen Augen die vielen Leckereien dahinter bestaunte. Wenn sie das alte Radio betrachtete, hörte sie ihren Vater, der im Takt der Musik an den Gebäcken arbeitete und bei den Liedern, die ihm gefielen mit Pfiff. Bei dem Schild, das vor dem Laden hing, sah Maravilla ihre Mutter, die es anmalte und dann auf einer wackeligen Leiter stand um es aufzuhängen, und beim Anblick der Bilder an den Wänden erwachten die Geschichten, die Maravilla sich an all jenen Tagen, die sie hier gewesen war, dazu ausgedacht hatte.
Das wollte sie sich keinen einzigen Tag ihres restlichen Lebens nehmen lassen, denn es würde nicht mehr lange dauern, bis es endete. Traurig stimmte das die alte Frau nicht, denn es war ein erfülltes Leben gewesen.

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