Lieber Freund

Written by Jule Katz

Preface

Unwissend wo mich diese Geschichte hinführt. Viel Spaß beim Lesen. Grüße Jule

Lieber Freund,

es ist nun schon eine Weile her, dass ich dir geschrieben habe, aber bevor du dich aufregst, lass mich dir sagen, dass ich dafür auch einen guten Grund hatte.

Ich weiß, die letzten Ereignisse waren mehr als nur mysteriös, und ehrlich gesagt hängt der Schrecken noch immer in all meinen Gliedmaßen. Irgendetwas sagt mir, das hier wird der letzte Brief an dich sein, noch immer kann ich nur hoffen, dass du all meine Briefe erhalten, gelesen und vor allem verstanden hast, ich weiß ich habe es dir nicht immer leicht gemacht und manche Rätsel waren mehr als nur knifflig. Aber ich glaube auch, dass du verstehst, warum es nicht anders ging, einfacher.

Nun komme ich aber schnell zur Sache, denn mir bleibt nicht viel Zeit, Mr. und Mrs. Liverwood müssten demnächst zurückkehren, soviel ich weiß waren sie in der Oper. Doch ich bin davon überzeugt, dass auch dies wieder eine Lüge ist.

Es gibt kein Zurück mehr, ich wusste, es würde so kommen, habe von Anfang gewusst, dass ich mit meinem Leben spielen werde, doch ich bin noch immer davon überzeugt, dass es richtig war, denn ich habe versucht etwas zu verändern. Und ehrlich gesagt gibt es so viele Dinge auf dieser Welt die von größerer Bedeutung sind als mein kleines, kurzes Leben.

Vielleicht ist es auch gut, dass es nun langsam zu Ende geht, denn vor lauter Angst und quälenden Albträumen bekomme ich kein Auge mehr zu.

In den letzten Wochen habe ich einfach zu viel gesehen, und könnte ich dir nicht diese Briefe schreiben, so wäre ich schon längst an all dem zusammen gebrochen. Es war einfach zu viel, zu viel von all dem Bösen.

Ich bitte dich nur um eine Sache, lass meinen Mut und all diese Briefe nicht wertlos werden, kämpfe für mich weiter. Auch wenn ich dich nicht kenne, vertrau darauf, egal ob du Angst hast, du wirst das Richtige tun und nicht versagen. Ich lege hiermit all meine Hoffnungen in dich, ich weiß, ich habe nicht das Recht dazu und eigentlich will ich dich nicht in diesen Krieg mit hineinziehen, doch es ist zu spät. Und früher oder später wirst du diesem heimlichen Krieg auch nicht mehr entkommen, also beginn zu kämpfen. Für mich.

In trauriger Erinnerung und mit großem Dank, Annlucia P.S. Vertrau auf das unsichtbare Licht in tiefster Dunkel - und Aussichtslosigkeit, es wird dir immer den richtigen Weg leiten.

Unberührt, und von falschen Augen gelesen, lag dieser Brief nun schon viel zu lange in einer alten Bücherkiste weit im dunkelsten, von Spinnen bewohnten, Eck des Dachbodens. Smilla durchforstete neugierig alles, was ihr zwischen die Finger fiel, alte Bilder der ehemaligen Herrin dieses wunderbar prachtvollen Herrenhauses. Nun gehörte es ihren Eltern, ihr drittes Ferienhaus war es nun schon. Es war nicht so, als ob Smilla es jemals gebraucht hätte, all diese prachtvollen Häuser mit wunderschön kunstvoll geschmückten Räumen, die guten Privatstunden und all die Förderung ihrer selbst von Kind auf. Reichtum hatte ihr noch nie geschadet, dank ihm hatte sie schon viel von der Welt gesehen, mehr als die meisten Mädchen ihres Alters, dank guter Schulbildung würde jede Universität ihrer Wahl sie nehmen, oh ja Smilla konnte sich keineswegs beschweren und das tat sie auch nicht, denn sie liebte all das hier. Liebte es, in den neuen Häusern nach Spuren der Vergangenheit zu suchen, liebte es, zerknitterte Briefe zu lesen und all das Vergessene heimlich wieder aufzudecken.

Doch dieses Haus war anders, es strahlte etwas Trauriges und zugleich so reizvoll Geheimnisvolles aus, dass Smilla sich nicht sicher war, ob dieses Haus ihr ein sicherer Freund oder doch ein Feind in den eigenen vier Wänden sein mochte. Wie immer überlegte sie nicht groß, das hatte Smilla nie getan. Sie war ein Mädchen der Taten, nicht des Denkens noch Sprechens. Den ganzen Mittag hatte sie nun in dieser düsteren und stickigen Luft verbracht, atmete all den alten Staub ein und brach hin und wieder in heftigen Husten aus.

Inzwischen ging die Sonne langsam unter und nur noch wenige warme Strahlen durchfluteten den Dachboden. Bald würden die Hausmädchen zum Essen rufen, und dann musste sie frisch geduscht und ordentlich sein, schließlich erwartete ihr Vater wichtige Gäste. Und Smilla wusste genau was das hieß, gerade dasitzen, höflich und aufmerksam zuhören, nur sprechen nach Aufforderung und immer schön alle Tischregeln beachten. Ihre zwei kleinen Brüder George und Quentinn waren da nicht ganz so Vorzeigekinder wie sie, daher würden sie am offiziellen Abendessen auch nicht teilnehmen. Stattdessen durften sie in der Küche mit den Hausmädchen genüsslich und albernd essen, wie gerne wäre Smilla an ihrer Stelle, doch auf der anderen Seite gefiel es ihr sonderlich gut, an der gehobenen Gesellschaft teilhaben zu dürfen und all den spannenden und interessanten Geschichten zu lauschen, darüber welche Kriege wieder für Unruhe sorgten, welche Politiker Mist gebaut hatten und über allerlei geschäftlichen Kram. Selbst Smillas Mutter sprach an solchen Abendessen kaum ein Wort, sie war schüchtern und still. Hörte lieber zu, statt selbst zu reden. Auch wusste Smilla, dass es ihre Mutter nie sonderlich interessiert hatte, über was die Gäste ihres Vaters so sprachen. Ihre Mutter malte gerne, stundenlang. Alles Mögliche, die Landschaft, eine einsame Blume, die Hausmädchen, sich selbst (tausende von Zeichnungen bewahrte sie heimlich in einer kunstvoll geschreinerten Holzkiste auf) und jedes Mal sah sie unglücklich darauf aus. Als sehnte sie sich nach irgendetwas schon längst Vergangenem, etwas so Verführerischem, dass sich ihr Herz schmerzvoll jede Sekunde danach sehnte.

Gebeugt lief Smilla weiter in den hinteren Teil des Dachbodens, ihr blieb kaum noch eine Stunde und die Lust auf weitere Bilder und Briefe staute sich in ihr auf. Verstaubte Stühle mit Seidenbezug, Kommoden, kunstvoll verzierte Schränke stapelten sich, etliche vollkommen ungeordnet über den ganzen Dachboden. Überall standen kaputte Lampen und Bilderrahmen mit viel zu alten Gemälden herum und erinnerten daran, dass sich alles auf diesem Dachboden in einer ganz anderen Zeit abspielte. Smilla zwängte sich ächzend zwischen einem Marmortisch und einem Kronleuchter hindurch. Nun war sie am Ende des langgestreckten Dachbodens angekommen. Sie konnte nicht weit sehen, da die letzten Sonnenstrahlen nicht bis dorthin reichten. Sie zog aus ihrer Sammeltasche ein dünnes silbernes Stäbchen hinaus. Sachte tippte sie dreimal mit ihrem Zeigefinger darauf und plötzlich leuchtete das Stäbchen so hell, dass sie nun alles um sich herum sehen konnte. Kurz blinzelten ihre Augen, um sich an das angenehm helle Licht zu gewöhnen, sie hatte sich noch nicht einmal umgesehen, da sprang ihr die Bücherkiste mit den goldenen Verzierungen sofort ins Gesicht. Engelähnliche Gestalten waren darauf abgebildet, mit bunten Flügel und zarten Gesichtern. Feen. Über Smillas Gesicht huschte ein schelmisches Grinsen und sofort hob sie die überraschend schwere Kiste hoch.

Es war kein leichter Weg, vom Dachboden bis zu ihrem Zimmer damit zu kommen, doch vor lauter Aufregung vergaß sie den Schweiß auf ihrer Stirn und selbst ihr Herzklopfen nahm sie nicht mehr wahr. Ganz gespannt, naiv und nichtsahnend, war sie auf den Inhalt dieser zauberhaften Kiste. Und sich dessen nicht bewusst, dass jede Neugier und jedes Wissen so seine Verantwortung mit sich zog.

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