Was die Finsternis geschaffen

Escrito por Andri Gigerl

Prólogo

Liebes Funke Team, ich habe hier im Anhang eine Geschichte, die ich für die schweizerische Erzählnacht geschrieben habe. Es ist also nur eine Kurzgeschichte. Ich hoffe sie gefällt euch trotzdem. Liebe Grüße, Andri Gigerl

Weißt du, warum die Menschen die Dunkelheit fürchten? Weil sie ihnen das Sehen raubt. Die Ablenkung, von dem, was man nicht sehen kann. Kleine Kinder haben Angst vor Monstern, Gesichtern ihrer Furcht. Erwachsene Kinder ebenso. Nur dass ihr Monster in ihnen selbst lauert.

 

Es ist 22:13 Uhr, als es geschieht. Es gibt keine Warnung, keine Anzeichen, und am wenigsten gibt es einen Grund. Oder? Ich schlummere gerade, in meinen Decken gefangen, wie ein Fisch im Netz. Seltsam, dass gerade das Fehlen jeglicher Sicht besser aus dem Schlaf reißt, als alle mir bekannten Wecker. Die Dunkelheit kommt so überraschend und plötzlich wie der Tod. Das Licht in unseren trostlosen Kammern hier tief unter der Erde mag noch so kalt sein. Aber sein Fehlen füllt den Raum mit einer abrupten, endgültigen Ruhe. Einer Grabesruhe. Ich taste mich durch das Zimmer, durch nichts, durch alles, wer weiß schon. Die sonst leise murrenden Lampen sind erloschen und mit ihnen das Sehen. Eine schwache Stimme, ein zitternder Hauch, klingt durch den Raum: „Wieso ist alles so schwarz. Wo sind denn die Farben hin?“ Ich tappe in die Richtung, in der ich meine Schwester vermutete. Mein Atem rauscht in die Leere. „Gar nirgends sind sie hin, Li, nirgends. Du kannst sie bloß nicht mehr sehen.“, flüstere ich. „Aber wieso denn? Ist etwas kaputt?“, fragt sie verwirrt.

Ich setze mich auf die Bettkante aus Holz, Plastik gibt es schon lange nicht mehr, seit der Erdölkatastrophe im Jahre 2036. Seit wir uns vergraben haben, in der sinnlosen Hoffnung dem was da oben noch übrig war, eine Chance zu geben. „Ja, Li. So könnte man es wohl nennen, ja. Die Energie ist kaputt.“ Ich kann hören, wie sie sich unruhig umdreht und die Bettdecke knirscht in meinen Ohren, wie Knochen, über die ein Riese trampelt. „Man kann sie doch reparieren oder? Man kann alles reparieren, nicht wahr, Sue?“, fragt Li ängstlich. Ich starre ein Loch in das Nichts. Eines, zwei, viele, keins. „Ich weiß es nicht, Li. Vielleicht.“ Es folgt Schweigen. Dann murmelt sie leise: „Ich hab Angst, Sue.“ Ich spüre, wie mein kleiner Finger zuckt, bei der Erwähnung dieses Wortes, wie mein Herz stolpert und sich wieder fängt. Das Monster in mir labt sich.
„Du musst dich nicht fürchten, Li. Niemals. Hörst du?“ Ich zögere.
„Möchtest du ein Gedicht hören, Li? Ein ganz kurzes, ja? Hör gut zu.

Was die Finsternis geschaffen, ist nicht böse von allein,

denn Form und Schatten gibt dem Menschen erst das lichte Sein.“

Ich glaube Li lächeln zu hören.
„Das klingt sehr klug.“, flüstert sie. Ich nicke, auch wenn sie das nicht sehen kann.
Wahrscheinlich auch für mich selbst. Dann murmle ich leise: „Vielleicht ist es doch sogar gut so, Li. Wer nichts sieht, der sieht nichts Gutes, aber auch nichts Schlechtes.“ Sie richtet sich auf im Bett. In ihrer Stimme liegt eine wachsende Panik, unter dem Bett ein wachsendes Monster. „Ich will aber wieder sehen, Sue. Ich will nicht, dass es so bleibt. Ich möchte sehen! Bitte!“ Ich fahre mit den Fingern durch ihr Haar. „Das wirst du doch, das wirst du. Das Licht wird wieder kommen, Li. Ganz sicher. Das verspreche ich dir. Das verspreche ich uns, uns beiden.“ Ich spüre, wie ich zittere, wie das Monster in mir zittert. Ich atme tief ein und aus. Wieder ein. Ich kann hören, wie das Blut in meinen Ohren pocht, wie Schritte im Sand.

„Ich erzähl dir etwas. Eine Geschichte, ja? Also, es geht um die Vögel. Die schönen, die kleinen, die dummen. In den Regenwäldern von einst, in den riesigen Tropen, pickten die Vögel den Krokodilen die Essensreste zwischen den Zähnen heraus. Sie saßen mitten im offenen Maul eines Biests und wurden nicht gefressen. Weil sie klug waren. Sie waren eingeladen worden zu helfen, und deshalb half das Krokodil ihnen auch, ernährte sie. Doch mit der Zeit vergaßen die Vögel, vor allem die dummen, dass sie im Schlund eines Raubtiers saßen, dass sich dessen spitze Zähne jederzeit schließen und sie zerfetzen konnten. Sie begannen gierig zu werden und nicht nur zwischen den Zähnen, sondern auch daneben zu picken, im Fleisch. Und eines Tages riss den Krokodilen der Geduldsfaden, und sie fraßen die Vögel auf. Alle, die sie kriegen konnten. Heute sind die Vögel wieder klüger. Und nehmen nur noch das, was ihnen zusteht.“

Ich höre Li gleichmäßig atmen. Sie ist eingeschlafen. Ich jedoch muss an die Geschichte denken. Wir Menschen, wir sind wie die Vögel. Eingeladen worden, auf dieser Erde zu leben. Sie ernährt uns, und wir halten ihr Gleichgewicht. Hielten. Denn wir sind gierig geworden und dumm. Wir haben den Pakt gebrochen, den unsere Vorfahren vor Urzeiten geschlossen haben, und vergessen, dass wir immer noch Gäste sind, im Rachen eines gewaltigen, wilden Krokodils.

In meinem ganzen Leben habe ich nie echtes Tageslicht gesehen, nie die Sonne auf meiner Haut gespürt. Nicht dass es mich gestört hätte. Aber jetzt, in diesem Augenblick, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als einmal oben gewesen zu sein. So aber sitzen wir, wir alle, da und vergammeln in der Dunkelheit. Die Energie, das Licht, das Leben werden nicht mehr zurückkehren. Nie wieder.

Erst als mir langsam schwindelig wird und sich die Finsternis um mich zu drehen beginnt, fällt mir auf, dass Lis Atem verstummt ist. Erst jetzt wird mir klar, dass wohl auch der Sauerstoff Energie braucht, wie alles in dieser Welt. Mein Gott, bin ich blind geworden. Und ich habe es noch nicht einmal bemerkt.

Wir hätten dem Beispiel der Vögel folgen sollen, die aus ihren Fehlern gelernt haben. Vielleicht hätten wir wirklich noch etwas tun können. Denn eines weiß ich mit Sicherheit: Jetzt ist es zu spät.

Wir wurden gefressen.

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