Die Froschprinzessin

Die Froschprinzessin Märchen aus aller Welt

Mit dieser liebevollen Hommage an die fantastische Welt der Märchen wendet Cornelia sich einem Genre zu, das viele ihrer eigenen Geschichten inspiriert hat.

Wunderbar illustriert wurde der limitierte Prachtband von Julia Plath, einer der Künstlerinnen, die an Cornelias Artist in Residence-Programm teilgenommen haben. Cornelias Lieblingsmärchen werden im Buch ergänzt durch persönliche Kommentare mit einem besonderen Augenmerk auf die Rolle der Frauen und Mädchen in den Geschichten. Zum Beispiel mit den Märchen: "Kotura, der Herr der Winde" (Sibirien), "Hinter dem Wasserschleier" (Japan), "Blaubart" (Frankreich), u.v.m.

KOTURA, DER HERR DER WINDE

In einem Nomadenlager in der Wildnis des hohen Nordens lebte ein alter Mann mit seinen drei Töchtern. Der Mann war sehr arm. Sein Tschum konnte den eisigen Wind und das Schneetreiben kaum abhalten. Und wenn der Frost in ihre Hände und Gesichter biss, drängten die Töchter sich um das Feuer. Wenn sie sich am Abend schlafen legten, breitete ihr Vater die Glut aus, und dann zitterten sie die lange, kalte Nacht hindurch bis zum Morgen.

Eines Tages im tiefsten Winter kam ein Schneesturm auf und wütete in der Tundra. Er fegte durch das Lager, einen Tag lang, dann einen zweiten und auch noch am dritten Tag. Das Schneetreiben und der erbitterte Wind schienen kein Ende zu nehmen. Keiner der Nenzen wagte es, den Kopf aus dem Zelt zu stecken, und Familien saßen ängstlich in ihren Tschums, hungernd und frierend, voller Angst, das Lager könnte im Ganzen davongeweht werden.

Der alte Mann und seine Töchter kauerten in ihrem Zeltnund horchten auf das Heulen des Sturmes. Da sagte der Vater:

»Wenn der Sturm noch viel länger anhält, werden wir alle sterben. Er wurde von Kotura geschickt, dem Herrn über die Winde. Er muss sehr wütend auf uns sein. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu besänftigen und das Lager zu retten – wir müssen ihm eine Ehefrau aus unserem Clan schicken. Du, meine älteste Tochter, musst zu Kotura gehen und ihn anflehen, den Schneesturm anzuhalten.«

»Aber wie soll ich dorthin kommen?«, fragte das Mädchen erschrocken.

»Ich kenne den Weg nicht.«

»Ich gebe dir einen Schlitten«, sagte ihr Vater. »Wende dich dem Nordwind zu, schiebe den Schlitten und folge, wohin auch immer er dich führt. Der Wind wird die Bänder deines Mantels lösen; doch du darfst nicht anhalten, um sie zu binden. Der Schnee wird in deine Schuhe fallen; doch du darfst nicht stehenbleiben, um ihn auszuleeren. Gehe weiter, bis du zu einem steilen Hügel gelangst. Erst wenn du hinauf geklettert bist, darfst du anhalten, um den Schnee aus deinen Schuhen zu schütteln und deinen Mantel zu binden. Bald wird ein kleiner Vogel auf deiner Schulter landen. Verscheuche ihn nicht, sei freundlich und streichele ihn sanft. Dann springe auf deinen Schlitten und lasse ihn die andere Seite des Hügels hinabgleiten. Er wird dich direkt zum Eingang von Koturas Tschum bringen. Tritt ein, aber fasse nichts an; sitze einfach geduldig da und warte, bis er kommt. Und tue genau, was er dir sagt.«

Älteste Tochter zog ihren Mantel an, richtete ihren Schlitten nach Norden aus und ließ ihn vor sich hergleiten. Sie folgte zu Fuß, und nach einer Weile lösten sich die Bänder ihres Mantels, der wirbelnde Schnee zwängte sich in ihre Schuhe und ihr war sehr, sehr kalt. Doch sie tat nicht, was ihr Vater ihr aufgetragen hatte: Sie blieb stehen und fing an, die Bänder ihres Mantels zu binden und den Schnee aus ihren Schuhen zu schütteln. Erst dann ging sie weiter dem Nordwind entgegen.

Sie lief immer weiter durch den Schnee, bis sie schließlich zu einem steilen Hügel kam. Und als sie endlich oben war, flog ein kleiner Vogel heran und wäre auf ihrer Schulter gelandet, hätte sie ihn nicht mit den Händen verscheucht. Erschrocken flatternd wich der Vogel aus und kreiste drei Mal über ihr, dann flog er davon.

Älteste Tochter setzte sich auf ihren Schlitten und fuhr den Hügel hinunter, bis sie zu einem riesigen Tschum kam. Sie trat ein und sah sich um, und das erste, auf das ihr Blick fiel, war ein saftiges Stück Hirschbraten. Hungrig von der Reise machte sie ein Feuer, wärmte sich daran und briet das Fleisch über den Flammen. Dann fing sie an, Stücke vom Fleisch zu reißen. Sie riss ein Stück ab und aß es, dann riss sie ein zweites ab und aß auch das, und ein weiteres, bis sie ihren Hunger gestillt hatte. Als die besten Stücke gegessen waren, hörte sie hinter sich ein Geräusch, und ein schöner junger Riese trat ein.

Es war Kotura persönlich.

Seit Julia Plath mir zum ersten Mal die Ehre gab, als Künstlerin mein Gast zu sein, habe ich davon geträumt, ein Märchenbuch mit ihr zu machen. Nun ist es da, und es ist noch schöner, als ich es mir vorgestellt habe.