Nachtfalter

Nachtfalter

Zusammen mit Jessica Fraschts kunstvollen Illustrationen öffnet Cornelia den Blick für die erstaunliche Welt der Nachtfalter, für ihre Bedeutung in Kultur und Natur.

Nachtfalter haben zahllose Mythen und Märchen inspiriert. Sie gelten als Boten der Toten oder sogar als ihre Seelen. Sie bringen Glück und Unglück, je nachdem welcher Geschichte man glaubt. Dennoch stehen sie unter all den anderen Schmetterlingen meist im Schatten, sind doch eine Vielzahl – aber nicht alle – nachtaktiv. Wir kennen sie als Kleider- oder Getreidemotten, als lästige Schädlinge. Cornelia Funke zeigt uns jedoch eine ganz neue Sichtweise auf diese wunderbar rätselhaften Wesen mit so fantasievollen Namen wie Jakobskrautbär, Eulenfalter oder Gartentiger. Wie die Bienen sind die Nachtfalter wichtige Bestäuber und zeigen sich in einer einzigartigen Vielfalt an Farben und Mustern. Zudem sind sie wahre Verwandlungskünstler – bei manchen Arten wie Daphnis nerii verwandelt sich bereits die Raupe sogar fünfmal. Diese Wandlung von den plumpen Raupen, die mit hauchdünnen Flügeln aus dem Kokon schlüpfen, hat Nachtfalter zu Symbolen für Erneuerung und Wiedergeburt gemacht.

DIE AUTOMERIS-MOTTE

Automeris io | Io Moth | 63-88 Millimeter Spannbreite | Nordamerika

Wieso trägt eine Motte aus Amerika den Namen einer griechischen Priesterin Vielleicht weil Io auch mit dem Mond assoziiert wird und Motten Kreaturen der Nacht sind?

Besagte Io war eine Priesterin von Hera, der Göttin, die das zweifelhafte Vergnügen hatte, mit Zeus, dem ständig fremdgehenden Göttervater, verheiratet zu sein. Zeus wollte auch Io zu seiner Geliebten machen, doch sie lehnte dankend ab. Ihr eigener Vater verstieß sie darauf, deutlich weniger besorgt um das Wohl seiner mutigen Tochter als darum, was der abgewiesene Gott ihm und dem Rest der Familie antun würde. Seine Rechnung ging auf. Zeus rächte sich nur an Io. Er verwandelte sie in eine Kuh. Eine seltsame Wahl, schließlich hieß seine Frau Hera auch die kuhäugige Göttin. Angeblich wollte Zeus Io so vor deren Zorn schützen. Doch schmeckt die Verwandlung nicht eher nach der Rache eines abgewiesenen Liebhabers?

Hera ließ sich durch Ios Kuhgestalt keineswegs besänftigen. Sie schickte ihrer ehemaligen Priesterin Stechfliegen nach, damit Io für alle Zeit rastlos vor ihnen davonlaufen musste. Ihren eigenen Mann dagegen bestrafte sie, wie immer, nicht für seine unsterbliche Lust nach sterblichen Frauen.

Ob Io tatsächlich nur eine Sterbliche war, ist umstritten. Manche Geschichten sagen ihr nach, dass sie verwandt mit Isis, der ägyptischen Göttin des Mondes, ist. Sie selbst soll sich die Gehörnte Jungfrau genannt haben, ein traditionelles Symbol der Mondsichel.

Doch zurück zu der betörend schönen Motte, die Ios Namen trägt: Im Englischen heißt Automeris io auch die Pfauenmotte. Das dramatische Augenmuster, das ihr diesen Namen einträgt, enthüllt sie nur, wenn sie die schönen Flügel ausbreitet, um so ihre Feinde zu erschrecken. Die Motte verbirgt ihre wahre Identität hinter ein paar falschen Augen. So wie ihre Namensgeberin Io die Menschengestalt unter einer Kuhhaut verbarg.

Das Männchen hat gefiederte Fühler, mit denen es weibliche Io-Motten auf weite Entfernung wittert. Die Raupen, die aus den Eiern schlüpfen, haben so giftige Stacheln, dass ihr Stich nicht nur Vögeln und Fledermäusen, den natürlichen Feinden der Motte, zusetzt, sondern auch Menschen. Also: Finger weg von Io.

Eigentlich gibt es dieses Buch nur, weil Jessica Frascht so schöne Motten malen kann! Und weil die so phantastische Namen haben! Inzwischen weiß ich wirklich so einiges über Motten, aber die Hauptarbeit hat Jessica geleistet. Sie hat die Motten ausgewählt. Was gar nicht so leicht war! Und sie hat das Buch auf so wunderschöne Art bebildert und mit ihrer unvergleichlichen Schrift versehen, dass es wirklich ein kleiner Schatz geworden ist. Natürlich auch dank des Insel-Verlags, dessen schöne Bücher ich schon lange bewundere. Dies ist mein erstes Sachbuch, und es hat solchen Spaß gemacht, dass ich und Jessica schon über ein weiteres Buch nachdenken. Das soll von Tauben handeln!