Eine untote Beerdigung
Geschrieben von Arya
Meine Beerdigung war am dritten November. Das Wetter war furchtbar, ein graupeliger Nachmittag, stürmisch und kaum wärmer als ein Grad. Die wenigen Gäste standen bibbernd auf dem Friedhof herum, dick eingepackt in Mäntel und Schals. Niemand kannte sich so recht genauer und so standen sie alle um mein Grab herum, schweigend und unverwandt, und schauten auf meinen Sarg herab wie die Krähen.
Professor Miller hatte den Anstand, ein paar Tränen zu vergießen und sich mehrfach laut und trompetend die Nase zu putzen. Von den anderen weinte kaum jemand. Es waren überwiegend Mitstudenten, die ich eh nur flüchtig kannte. Ich vermutete, dass Professor Miller sie eingeladen hatte. Es war mir schon recht, dass es ein paar Trauergäste gab - schließlich war ich ja nicht ohne Grund gestorben. Ein wenig Aufmerksamkeit musste also schon her. Soweit ging mein Plan auf. Alle standen in bedrücktem Schweigen (außer der trompetende Miller) um mein Grab herum. Der Wind peitschte ihnen Graupelkörner ins Gesicht, fuhr ihnen unter Mäntel und machte die ganze Veranstaltung denkbar unangenehmer, als sie eh schon zu sein schien. Der Mann vom Beerdigungsinstitut hielt die Rede, die ich ihm geschrieben hatte. Es war ein kleiner, glatzköpfiger Mann, der das Geschriebene mit so anteilsloser Stimme vorlas, dass es auch ein Einkaufszettel hätte sein können. Obwohl ich selbst da emotionaler geworden wäre. Man konnte eh kaum verstehen, was der Mann vor sich hin leierte, der Wind rauschte in den Bäumen und der Bestatter machte sich nicht die Mühe, seine Stimme zu heben. Es war schon ein bisschen lustig, so von außen betrachtet.
Ich schaute mir die ganze Geschichte aus sicherer Entfernung an, ein wenig auf der Hut, aber an sich unbesorgt. Die Gesichter der Begräbnisbesucher ließen mein Gehirn eher weniger klingeln, auch wenn ich anfangs nach einer bestimmten Person Ausschau gehalten hatte. Doch er war nicht gekommen. Zu schade, ich hätte ihn wirklich gerne beobachtet. Wäre er traurig gewesen? Hätte er Professor Miller mitleidsvoll die Hand gedrückt? Hätte er einfach nur dagestanden? Hätte er geweint? Aber nein, es bestand kein Grund dies auch nur zu überlegen, natürlich hätte er nicht geweint. Es war hundertprozentig auch von Miller eingeladen worden und der Fakt, dass er nicht anwesend war, sprach für komplettes Desinteresse seinerseits. Ich meine, fünfzehn andere Studenten, die viel weniger mit mir zu tun gehabt hatten, hatten sich zusammengerafft und waren an diesem lausigen Novembertag zum örtlichen Friedhof gestiefelt, nur um mich zu beerdigen! Ich hätte um ehrlich zu sein auch von ihm ein wenig mehr Anteilnahme erwartet.
Das monotone Geplapper des Bestatters war verstummt. Endlich kommen wir zum spannenden Teil. Ich konnte es kaum erwarten. Würde noch jemand weinen? Ein spontaner Tränenausbruch direkt am Grab? Unterhaltsam wäre es. Ich hoffte nur, sie würden sich beeilen, denn auch ich blieb vom Wetter nicht verschont. Meine Zehen fühlten sich sehr erfroren an und ich begann mich zu fragen, warum genau ich meine eigene Beerdigung hatte beobachten müssen. Höchstwahrscheinlich einfach, um noch einmal Anteilnahme zu spüren. Das Gefühl, jemand vermisste mich. Viel Gefühl hatte ich nicht bekommen. Vielleicht wenn Er auch aufgetaucht wäre. Das hätte mich ein wenig befriedigt. Professor Millers Tränen konnten mir erspart bleiben, der weinte nicht um mich, sondern um meine akademischen Leistungen.
Sie begannen nun Blumen und Erde auf meinen Sarg zu werfen, eine der schwarzen Krähen nach der anderen. Was ein denkbar trostloser Tag für eine Beerdigung. Ich hätte mir wahrhaftig auch einen besseren Zeitraum zum sterben aussuchen können. Einzelne Worte wehten zu mir herüber, die meisten sagten noch etwas zu mir bevor sie den nassen Sand in die Grube schmissen. Da mich niemand von ihnen näher gekannt hatte, interessierte es mich nicht. Es war höchstwahrscheinlich jedes mal eine sehr ähnliche Variation von "Wir werden dich vermissen, ich hoffe es geht dir gut wo du jetzt bist."
Professor Miller war der Letzte in der Reihe und er sprach laut genug, dass auch ich seine Worte verstehen konnte.
"Mein Junge", sagte er, "Mein Junge du wirst uns allen fehlen. So brillant! So viel Wissen! Alles unter der Erde! Ach warum nur, ein weiterer Stern unserer Universität. Es war eine Freude, Sie in meinen Vorlesungen zu haben! Ich werde Sie sehr vermissen."
Er faselte noch etwas über seine tiefe Verbindung zu Studenten und wie er immer an mich denken würde, aber ich hörte schon nicht mehr zu. Wie erwartet trauerte er nur um all das, was hätte sein können, was ich hätten sein können. Er weinte um all das verloren geglaubte Wissen, all die brillanten Gedanken, die ich in der Zukunft hätte haben können. Für mich war es höchste Zeit zu gehen.
Ich erhob mich aus meiner hockenden Position, in der ich die ganze Zeit über verharrt hatte. Mit einem Blick versicherte ich mich, dass alle Trauergäste noch um mein Grab herumstanden - ja, alle starrten noch auf meinen Sarg hinab und unterhielten sich leise und höflich, wie es flüchtige Bekannte nun einmal tun. Ich hatte es eilig, denn ich wusste, dass das Wetter sie innerhalb von wenigen Minuten auch vom Friedhof treiben würde. Ich wandte mich um und stapfte durch die Büsche den kleinen Hügel herunter, von dem ich das Spektakel beobachtet hatte. Der Abhang war dem Friedhof abgewandt und grenzte direkt an einen sehr dicht bewachsenen Wald, ideal dafür, unbemerkt zu bleiben. Doch trotzdem wollte ich es nicht riskieren, am Tag meiner Beerdigung gesehen zu werden. Das wäre mir dann doch zu unangenehm gewesen.
Ich hatte den Fuß des Hanges erreicht. Das Gebüsch um mich herum war glücklicherweise hoch und dicht genug, dass mich hier niemand zufällig beobachten würde. Mit schnellem Schritt ging ich auf die Bäume zu, als mich eine Bewegung vor mir innehalten ließ. Hinter dem Stamm einer Eiche trat jemand hervor. Jemand, den ich sehr gut kannte.
Ich versuchte mir meinen Schock nicht zu sehr ins Gesicht zu schreiben. Natürlich. Natürlich war er hier. Natürlich hatte er die Beerdigung nicht aus reinem Desinteresse verpasst. Aber wie? Ich war so sorgfältig gewesen. Hatte ich nicht auf alles geachtet?
Er trat auf mich zu, den Mund belustigt gekräuselt, angesichts meiner Schockstarre. "Hallo Ethan. Was ein schöner Tag für einen Spaziergang, um die Toten zu besuchen, nicht wahr?"
Ich konnte ihn nur anstarren.
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Zu dieser Geschichte gibt es 2 Kommentare
Einen Kommentar hinterlassenSehr gut und mysteriös geschrieben. Daraus könnte ein richtiges Buch werden. Gibt es vielleicht ein Fortsetzung?
Gut geschrieben. Vielen wollen bestimmt wissen, wer zu seiner eigenen Beerdigung kommt ...