Ein Tag

Written by Marcus Tantar

Preface

Liebe Cornelia Funke, ich studiere im Zyklus 3.2, Klasse 23, unterrichtet auf Deutsch von Lehrerin Carole Krecké. Ich schreibe als Schüler der Schule Am Sand in Niederanven, Luxemburg. Natürlich habe ich ausgerechnet dir meine E-Mail geschickt, weil mir echt krass gefällt, was du so geschrieben hast. Ich bin und war ein Bücherwurm, und da ich eben so bin wie ich bin, habe ich fast die ganze Schulbibliothek durchgelesen. Ich bin noch nicht bei der Tintenherz-Tintenblut-Tintentod Serie angekommen, habe aber alle Gespensterjäger und alle Drachenreiter gelesen. Dann gibt es noch ein Buch namens Reckless, das ich auch noch nicht gelesen habe.Jedenfalls möchte ich ein Buch veröffentlichen und arbeite an mehreren Buch Skizzen. Auch schreibe ich gern komplexe Geschichten, zum Beispiel über menschliches Verhalten und menschliche Verbindungen. Ich schicke dir eine meiner Geschichten mit dem Titel „Ein Tag“, die ich geschrieben habe, als ich acht (neun jetzt) und in derselben Klasse (mit demselben Lehrer) war. Ich wünsche Ihnen ein glückliches Leben und verabschiede mich mit den schönsten und besten Grüßen.

Erstes Kapitel, in dem viel von Schokolade geredet wird

Wenn man eine Geschichte schreibt, fängt man fast immer damit an, die Hauptpersonen vorzustellen. Es gibt Leute, die das nicht machen, und es gibt wiederum Leute, die das machen. Ich jedenfalls bin einer von der Sorte Leute, die das machen. Und deshalb würde ich eigentlich schon damit anfangen, wenn es da nicht ein Aber gäbe. Ich habe lange darüber nachgedacht, und ich würde sagen, ich kann euch die echten Namen der Personen nicht nennen, einerseits, weil sie vielleicht nicht damit einverstanden wären, andererseits, weil die Namen nicht zur Geschichte passen würden. In meine Klasse geht zum Beispiel ein Junge, der mir mal erzählt hat, sein Name würde in irgendeiner fremden Sprache "Wurst" bedeuten. Jedenfalls, ich will mich nicht in den Details verlieren und komme deshalb zur Hauptsache zurück: die Vorstellung. Also, die erste Hauptperson in diesem Kapitel ist mein Vater, die zweite Hauptperson bin ich. Und da ich uns jetzt schon vorgestellt habe, möchte ich gern zu erzählen beginnen.

Eines gemütlichen Sommertages, von der Sorte, an dem die Früchte reif werden und die Sonne kitzelnd auf die Haut scheint, eines solchen Tages also bat ich meinen Vater, wie schon seit langer Zeit nicht mehr, mir eine Geschichte zu erzählen. Eine ausgedachte. Und die ging ungefähr so:

Irgendwo in der Nähe eines Dorfes tauchte ein riesiger Klumpen Schokolade auf, einer, der fast so groß wie der Mount Everest war und der langsam unterm Licht der Sonne zerschmolz. Die Schokolade tropfte auf die Straßen, schlängelte sich als Flüsse durch die Felder oder strömte einfach in riesigen Massen quer durch den Wald. Jedenfalls floss sie zu einem riesengroßen Teich (der immer größer wurde) vor einem einfachen Haus zusammen. Als der Hausbesitzer merkte, was gerade vor seinem Haus geschah, informierte er sofort seine Nachbarn, die wiederum ihre Nachbarn informierten, die ihre Nachbarn informierten und so weiter, bis plötzlich die ganze Stadt darüber Bescheid wusste. Alles drängelte jetzt vor dem Teich, den man nicht mehr so nennen konnte, und einige fragten sich schon, ob man da nicht eine Brücke drüber bauen sollte. Aber kommen wir wieder zu dem Häuschen, vor dem die ganze Menschenmenge stand. Also, inzwischen gab es so viel Aufregung, dass die Polizei eingreifen musste. Und es wäre besser, wenn wir da weggingen und ein anderes Mal wiederkämen, es ist besser, ich sag euch nicht warum.

Als wir also am nächsten Morgen wiederkamen, sahen wir, dass die ganze Straße voll von Schokolade war. Und von Touristen. Ich kann euch sagen, jeder aß Schokolade. Die, die ungezogener waren als andere, tauchten ihren ganzen Körper in die geschmolzene Schokolade, aßen sich Tunnels und schlabberten dabei wie die Schweine. Die freundlicheren aber holten, um niemanden zu stören, einen kleinen Teelöffel mit und aßen dann so. Und schließlich gab es auch noch die, die ganze Flaschen vollfüllten und deren Zunge kein Tropfen geschmolzener Schokolade anfasste. Ach ja, ich habe noch vergessen zu erwähnen, dass jetzt alle Menschen dieser Stadt auf Befehl immer des Morgens geschmolzene Schokolade tranken. Die Schokoladen-Massen wurden immer größer und bald beschloss man, (wie schon gesagt), dass man die meterlange Brücke drüberbauen musste. Doch auch das half nicht viel, denn bald versanken die beiden Enden in Schokolade, und da gab es jetzt wirklich ein Problem, über das viele Wissenschaftler nachgrübeln mussten. Jetzt war doch Sommer und die Schokolade blieb geschmolzen. Doch was wäre, wenn die Schokolade wieder hart werden würde? Dann gäbe es Statuen von verschokoladeten Menschen, und die Häuser wären in Schokolade versteinert. Die größte Frage aber war: Tat die Schokolade den Menschen gut? War sie nicht gefährlich? Sie war ja einfach so aufgetaucht, woher wusste man dann, dass es wirklich Schokolade war? Vielleicht war es etwas anderes, das so aussah wie Schokolade und so schmeckte wie Schokolade, aber dann würden alle Leute etwas anderes essen als sie zu essen glaubten. Egal, jedenfalls, das musste erforscht werden und wurde auch erforscht. Und so viel ich mitbekam, war die Hauptfrage: "Aus was ist diese sogenannte Schokolade gemacht?".

Jetzt wurden also natürlich die ausgefragt, die von der Schokolade gegessen hatten.
"War sie lecker?"
"Nach was hat sie geschmeckt?"
"War sie wirklich flüssig?"
 Und so weiter und so fort. Jetzt mussten die Wissenschaftler die Schokolade testen, und das ging ein wenig so aus:
"… Ja, das schmeckt hundertprozentig nach Schokolade ... Da wäre noch so ein Beigeschmack von Fisch... Nein, sonst schmeckt es hundertprozentig nach Schokolade... kann ich noch ein bisschen?... Ach, es ist einfach wunderbar cremig... Genau, durchaus lecker…"
Und dann wurde noch ein bisschen über schmackhaftes Essen diskutiert, doch jetzt mussten neue Wissenschaftler gesucht werden, denn die früheren hatten wegen des zu vielen Schokolade-Essens Bauchschmerzen bekommen. Doch dann (keiner wusste mehr, wie und wann das geschah), dann war die Schokolade so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war! Eigentlich änderte es nur, dass die Leute jetzt nicht mehr eine braune Landschaft sahen. Und dass man am Morgen keine flüssige Schokolade mehr trank. Aber so war das Leben auch viel schöner.

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