Stillstand

Written by Fire

Preface

moin moin, hier mal wieder eine geschichte von mir. sie ist ziemlich lang und auch eher ein portrait, aber ich hoffe, es finden trotzdem einige die motivation, sie zu lesen und zu kommentieren, es würde mich echt interessieren, was ihr davon haltet ;) lg und frohes neues jahr euch allen noch fire

Er sah aus dem Fenster.
Nicht einmal schneien konnte es.
Vielleicht sollte er woanders suchen. Nach dem Glück. Nach Freiheit. Nach ihm.
Nach wem oder was auch immer.
Finden würde er es eh nicht.
Durfte man heulen als über 20-jähriger?
Aus Liebeskummer?

Er stand auf, ächzend, tastete im dunklen Zimmer nach dem Wein.
Wie schnell es dunkel wurde jetzt. Winter war nicht schön. Zu dunkel. Und zu kalt. Allein durfte man nicht sein, im Winter. Vielleicht im Frühling. Dann war alles voller Leben. Und voller Aufblühstimmung. Aber im Winter – im Winter war es nicht gut, allein zu sein.

Der Wein war fast alle. Er konnte sich gar nicht erinnern, ihn aufgemacht zu haben.

Draußen war es kalt, und die Kälte kroch durch das Fensterglas, als wäre dort nichts.
Die Weinflasche in seiner Hand war auch kalt. Alles war kalt. Kalte Welt.
Und sauer, sauer war der Wein. Das Leben war auch sauer. Kalt und sauer.
Fast hätte er ihn wieder ausgespuckt.
Doch was war besser als kalter, sauerer Wein, um sich mit der Trostlosigkeit des Lebens abzufinden?

Sein Blick verlor sich wieder in der Nacht.
Eigentlich, dachte er sich, ist es noch gar nicht Nacht. Wahrscheinlich gerade erst 17 Uhr. Vielleicht ein bischen später. Aber nichts, was man zu recht als Nacht bezeichnen könnte.
Oh, sie würde lang werden, diese Nacht. Und irgendwie musste er sie überstehen. Und die danach. Und die danach. Und so weiter.
Killing Time, dachte er. Ein Lied. Er kannte nur diese eine Zeile, diese zwei Worte. Und sie passten so ungemein gut.
Was tat sie denn, die Zeit? Brachte sie ihn um? Oder er sie? Indem er jede Sekunde verschwendete, verfluchte?

Draußen schimmerten erste Sterne. Der Wein war alle.
Und dann sah er es.
Das Gesicht.
Zwischen den Sternen, wie eine Projektion auf den Wolken, schwebte es da am Himmel.
Sah ihn an, irgendwie ausdruckslos und trotzdem so – wie sollte er sagen? - so schön.
So – er konnte es nicht sagen.
Es gibt so viele Wörter, dachte er. Und trotzdem gibt es für die meisten Dinge nicht die richtigen.
Das Gesicht sollte nicken.
Natürlich tat es das nicht.
Es sah einfach so vom Himmel herab, wie von einem Thron. Ein stolzer, gütiger König von seinem Thron hinab auf die Welt, die ihn verehrt.
Sein Gesicht.

Nein.
Nein, er wollte es nicht sehen. Und er durfte auch nicht.

Das Bier war warm, und es gab nichts schrecklicheres als warmes Bier. Außer vielleicht ihn...
Es war schon verrückt.
Die Zeit verging, aber alles andere irgendwie nicht.
Er wurde älter.
Und seine Liebe wurde altersschwach.
Nicht schwach, nur altersschwach. Sie ging sozusagen auf Krücken. Schleppte sich durch die Welt.
Würde sie doch endlich einfach irgendeinen Abhang hinunterfallen. Genickbruch.
Vielleicht gab es ja einen Himmel für die Liebe...
Er schüttelte den Kopf. Das Alter macht dich romantischer als du eh schon bist, dachte er.

Was sollte er noch tun?
Sein Leben war ihm schon vor Jahren davongelaufen, und die Leine hatte er noch immer an seinem Handgelenk baumeln...
Da irgendwo zog es vorbei und er sah seiner Zeit förmlich dabei zu, wie sie schwand.
Und nichts, was genutzt war.

Das zweite Bier war noch wärmer, und es schmeckte furchtbar. Der Kronkorken segelte im weiten Bogen in die kalte Nacht, es dauerte, bis von unten ein Klong ertönte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass das Fenster offen war...
Er sah ihm hinterher, obwohl er gar nichts sah. Fliegen... Fliegen würde er auch gern.
Ohne Landung. Obwohl... Vielleicht auch mit.

Nachdenklich wartete er, dass etwas passierte. In Filmen passierte an dieser Stelle immer etwas. Etwas Wichtiges.
Wie hieß das? Umschlagpunkt. Im Drama. Die Handlung kehrt sich um, die Verhältnisse geraten in eine neue Ordnung, die für die weitere Handlung des Dramas unvermeidbar ist.
Nichts.
Stille, Nacht, nein, Abend, berichtigte er sich, und Kälte.
Und der Wunsch, nicht mehr, nie mehr denken zu müssen.

Er seufste, zog die Beine an seine Brust.
Es war unglaublich, es passierte einfach nichts. Wenn ich jetzt sitzen bleibe, dachte er, dann bleibt es bis zum Ende der Welt so. Es würde einfach nichts passieren.
Er wartete.
Nichts.
Seine Augen verloren sich im Dunkel, und seine Gedanken verirrten sich in den Kreisen, in denen sie seit Wochen liefen.
Es war verrückt.
Heute, jetzt vor genau acht Wochen und zweieinhalb Tagen hatte er diesen Satz gesagt.
Einfach so.
Es war ja nicht so, dass da vorher nichts gewesen wäre.
Und trotzdem hatte er aus heiterem Himmel diesen Satz gesagt.
Es war verrückt. Einfach nur verrückt.
Nicht einmal Tränen kamen mehr.
Nur ein Wort. Verrückt. Mad. Mad World.
Und jetzt war er irgendwo da unten. Und feierte. Oder trank. Oder spielte Trompete in irgendeinem Club, vielleicht sogar in irgendeiner Stadt. Mit irgendeinem anderen. Das ziemlich sicher.
Er würde keine Schwierigkeiten haben, da irgendeinen zu finden.
Und er hatte unter Garantie keine Tränen mehr für ihn übrig.

Sein Fuß war eingeschlafen. Er streckte seine Beine aus.
Die Flasche flog geräuschlos nach unten, ohne Bogen.
Er stellte sich vor, wie da unten Wellen gegen die Hauswand schlugen, und die Sterne sich im Wasser spiegelten. Mit Fischen drin. Nicht die bunten. Die kleinen, silbernen, die nachts ganz nah an die Oberfläche kamen als seien sie mondsüchtig.
Und Schiffe... Schiffe mit Menschen mit blau-grauen Haaren wie das Wasser, auf dem sie fuhren...
Der Aufprall der Flasche zerstörte jede Illusion, tausend Scherben blinkten in der Nacht.

Er griff nach rechts. Es stand keine Flasche mehr da.
Er überlegte. Er konnte aufstehen, Licht machen, mehr Alkohol suchen. Nur nicht denken.
Das Fenster war verlockend, das dahinter, da drunter auch.
Er konnte auch sitzen bleiben. Raus gucken. Warten und wissen, dass es nichts gab, worauf er warten konnte.
Um aufzustehen musste er sich bewegen. Seine Beine waren dagegen.
Er blieb sitzen.
Stillstand.
Das war es. Sein Leben stand still.
Er sah eine Uhr vor Augen, eine aus Kalk, irgendwo am Meeresgrund, wo es eh keine Zeit gab, und das Wasser, das um sie herumwog, flüsterte von Ewigkeit. Und es passiert nichts, rein gar nichts.

Er stand auf. Spontan, ohne nachzudenken. Fast wäre er wieder umgekippt, sein Körper wehrte sich gegen plötzliche Bewegung.
Er wankte zum Lichtschalter, und das Licht war viel zu hell. Er griff das Bier, den Sekt und taumelte zurück.
Sein Spiegelbild starrte ihn an. Das Fenster war zu. Warum?
War es nicht eben noch offen gewesen?
Das Spiegelgesicht antwortete nicht. Verwirrt starrte es ihn an und wartete.
Er betrachtete es.
Die Dreddlocks waren ungepflegt. Warum auch sollte er sie pflegen?
„Dredds und so. Nicht so meins.“
Es waren Haare. Haare, verdammt, was sagten Haare über eine Person?
Die Augen sahen zweifelnd zurück. Rot. Verheult.

Er konnte es nicht mehr sehen.
Er warf solange das Kreppband immer wieder an die Wand, in Richtung Schalter, bis das Licht aus war. Wie elastisch das Zeug war. Fast wie ein Flummi...

Und wie Gefühle.
Elastisch. Mal oben, mal unten...

Da waren sie wieder, die Tränen.
War es das, was bleiben würde, wenn er alt war? Tränen?
Tränen und blasse Erinnerungen an noch blassere Nächte, die nicht kalt waren? An unscharfe Szenen, auf Dächern, in Clubs, im Park?
Lahme, längst vergangene Minuten, als noch alles schön war?
Fotos, Lieder und Narben?

Der Fensterrahmen litt almählich unter den stendigen Versuchen, an ihm die Flaschen zu öffnen.
Er merkte gar nicht, wie er trank.

Es war verrückt.
Ein viertel Jahrhundert.
Es klang so viel.
Und er war älter als ein Viertel Jahrhundert.
Ein Viertel seines Lebens. Vielleicht. Wohl eher ein Drittel.
Es war so verrückt.
Ein Drittel. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen, dachte er.

16 sein. Nur noch einmal, einen Tag. Das wäre was.
Obwohl. Eigentlich, dachte er, und er merkte, wie sein Denken langsamer wurde, seine Bestandteile schwerfälliger, eigentlich war es da auch nicht anders. Glaube ich.
Er sah nach draußen. Es hatte sich nichts geändert.

Warum? Warum änderte sich jetzt nichts, bewegte sich kein Blatt, aber sein Leben, alles, was ihm etwas bedeutet hatte, musste sich in jeder Sekunde um das Maximum des Möglichen verändern?
Warum hatte er sich geändert, seine Einstellung, seine Liebe?
Und warum seine eigene dabei nicht?
Er verstand es einfach nicht.

Das Bier war leer.
Und der Sekt... Nein, Sekt war zum Feiern. Und es gab nichts zu feiern.
Er stand auf, taumelte, wünschte sich zurück auf die sichere Fensterbank.
Er hielt sich an der Wand fest beim Laufen, und dann machte er den Fehler. Er sah hinauf.
Es hing immer noch sein Bild an der Wand. Er konnte es nicht abnehmen.
Er. Sein Bild, sein Gesicht, er war so wunderschön. Und er war der beste Mensch, den er kannte.
Er liebte ihn. Immer noch.
Die Tränen waren aus Stein, und wie geschossene Tauben fielen sie an ihm hinunter.
Nein, er wollte ihn nicht mehr sehen, nicht mehr lieben, nicht mehr kennen.
Er musste sich ablenken. Sonst würde er wieder in das tiefe, tiefe Loch fallen, in das er ihn hineingestoßen hatte und aus dem er gerade mühsam nicht hinaus, aber wenigstens in Richtung Licht gekrochen war.
Er ging zum Schrank, und in der untersten Schublade fand er sie.

Er zündete sich eine der Zigarren an und wankte zurück.
Dann setzte er sich wieder auf das Fensterbrett. Vergewisserte sich, dass das Fenster auch wirklich geöffnet war und blies die schwachen Ringe in die endlose Nacht.
Es klappte nicht. Ohne ihn bewusst zu hören, ohne es wahrzunehmen, spukte der Satz in seinem Kopf herum.
Er wollte ihn nicht mehr hören...

Er war zu alt für so etwas.
Zu alt für Liebesschwärmereien.
Zu alt, um einem verstaubten Ideal von Liebe und Gerechtigkeit hinterherzutrauern.
Man muss sich das mal klar machen, dachte er. Andere Menschen reden von Jugend.
Dabei lebe ich ein viertel Jahrhundert. Ein verschwendetes, trübes Viertel Jahrhundert.
Geändert hat sich nichts, außer mein Alter. Mein Aussehen. Meine Umgebung.

Haare.
Es widerte ihn an.
Es waren Haare, und er war sich ziemlich sicher, dass sie eine symbolische Bedeutung hatten, ob nun bewusst oder unbewusst.
Kringel verloren sich in der Nacht. Mittlerweile war es wirklich Nacht. Und sogar Sterne, ein paar wenige, glühten hoffnunglos da oben. So alt. Bald werden auch sie verglüht sein, dachte er.
Als Stern, überlegte er sich, denkt man wohl anders über Alter. Als Stern ist man uralt, und ein Menschenleben ist nichts. Ein Wimpernschlag, quasi.
Augenblicklich kam er sich noch älter vor.

So zerbrechlich war es, ein Leben. Nur leider, leider bemerkte man das immer erst, wenn es zerbrochen war.

Ein Glas, dachte er, und merkte dabei, wie schwerfällig sich vor seinen Augen das Bild eines Weinglases bildete, und wie Watte sein Denken anstrengend machte, ein Glas ist auch zerbrechlich. Aber das zerbricht, wenn man zu fest drückt. Oder es loslässt. Oder etwas darauf fallen lässt. Es nicht beschützt. So etwas kann man vermeiden. Beeinflussen.

Aber er, er hatte nichts beeinflussen können.

Er hatte ihm einfach den Satz gesagt, und eine ganze Welt, seine Welt, war von ihren Säulen in tausend Trümmer, in scharfkantige Scherben zerfallen, und jetzt dabei, trauernd zu verrotten.
Ein Satz, und er hatte nichts dagegen machen können. Ihn nicht verhindern können.
 
Er musste husten, und meinte, dem Qualm fast dabei zusehen zu können, wie er schwarze Schlieren in seine Lunge malte.
Es war ihm egal.

Irgendwo klingelte ein Telefon. Er hörte eine Weile zu, musste an verstimmte Kirchenglocken denken. Er starrte an die Wand und versuchte verweifelt, sich daran zu erinnern, was er gerade denken wollte.
Es klingelte immer weiter.
Idiot. Warum ging der Besitzer nicht ran, wenn er angerufen wurde?
Dann fiel es ihm ein, was er hatte denken wollen.
Er kannte den Ton, er hatte ihn schon mal gehört. Eigentlich schon oft...
Es war sein Handy.
Er hasste das Ding.
Irgendwann, hatte er sich schon so oft geschworen, würde er das Ding packen und aus dem Fenster werfen. Es war die Gelegenheit.
Doch bevor er es schaffte aufzustehen, war es verstummt.

Er lehnte sich zurück, griff in Tasche und holte sein Drehzeug heraus. Zigarren waren gut.
Joints waren besser. Das Denken kotzte ihn an.

Das Glas mit dem Gras stand neben ihm, auf dem Fensterbrett. Er musste grinsen. Glas – Gras. Ein Grasglas. Vielleicht war es ja schon grün... Grün vor lauter Gras... Wiese... ? Ich muss unbedingt aufhören zu denken, dachte er.  Jetzt, in diesem Zustand, kommt nichts außer Mist dabei heraus.

Er betrachtete den Joint und beschloss, doch nicht noch mehr Drogen zu nehmen.
Er ließ ihn fallen, er verschwand irgendwo im Dunkel unter dem Fenster im Komposthaufen, auch bekannt als sein Zimmer.

Er schloss bibbernd das Fenster und lehnte seinen Kopf an das Glas. Die Scheibe beschlug, die Zeit verging, und er sah hinaus, dachte nichts und war irgendwo im Hinterkopf froh, dass er nicht einfach zur Seite und damit vom Brett kippte.
Er malte einen Baum in den Dunst auf der Scheibe, mit unendlichen, verschlungenen Wurzeln und ganz, ganz vielen Blättern. Er lächelte. Jedes Blatt ein Herz. Als ob ein verschenktes und gemordetes Herz nicht genügte...

Zu alt, um jung zu sterben.
Der Satz war einfach da, in seinem Kopf, und er wurde ihn nicht wieder los.
Naja, dachte er, besser als der andere Satz, sein Satz.

Und er war ja wahr. Er war alt, zu alt um jung und übermütig zu sterben. Und er war zu jung, um einfach so als alter glücklicher Mann im Schaukelstuhl oder wenigstens im Büro einzunicken, ohne Aussicht darauf, am nächsten Morgen wieder aufzuwachen.

Zu alt, um jugendlich zu sein, zu jung, um als alt wahrgenommen zu werden, zu jung, um wirklich alt zu sein.
25.
Waren denn alle mal an diesem Punkt gewesen, und hatten gehofft, ein Meteorit würde kommen und die 25 gerade noch abwenden?

Er schloss die Augen.
Verdammt.

Tränen.

Verdammt.
Der Satz war ausgeschöpft. Kein Potential mehr, darüber nachzudenken.
Und der andere wartete...

Seine Tränen malten Spuren in den Beschlag an der Scheibe und durchkreuzten seinen Liebesbaum.

„Es hat sich alles geändert. Du bist irgendwie doch nicht mehr so mein Typ. Weißt du?“

Nein, er wusste nicht.

Aber es war, wie so oft. Immer eigentlich bis jetzt.
Die langen Haare waren Symbol. Gefühl war ein Hindernis. Leben war irgendwas anderes, anscheinend. Bei den anderen.
Die Herzen waren zu, verschlossen, verrammelt von der Angst.
Angst, zuzugeben, wer man war.
Angst, anders zu sein.
Angst, nicht willkommen zu sein.
Dabei waren sie, verdammt noch mal, nicht willkommen. Sie waren anders, sie waren nicht der Mainstream, und das konnten sie nicht ändern!
Aber leugnen.
Leugnen konnten sie es.

Seine Tränen waren aus Eis.

Es war verrückt.
Wie er das so dachte, fühlte er dabei nichts. Nur dieses große, kalte, leere Unverständnis.

Er war nicht genug für diese Welt.
Es wollte ihn niemand.
Er war nicht gut, nicht gut genug für sie, für die Welt.
Verrückt.

Er starrte wieder in die Nacht, unbewegt.
Es wurde hell.

Er konnte es nicht glauben.
Eben noch war es dunkel, dachte er, eben noch war es Abend, und jetzt wird es schon wieder hell.
Er starrte nach draußen. Das Denken war so anstrengend...

Vielleicht, dachte er, vielleicht kann man auch nicht gut genug sein.
Vielleicht finden sich Menschen, indem sie sich an jemanden klammern, der aus ihren Augen noch ungenügender ist für die Welt.
So, wie der bist du noch nicht. Vielleicht tröstete es sie ja.
Er sah nach draußen, durch seine fremden Tränen hindurch.
Wahrscheinlich gab es sein Ideal von Welt, von Liebe ja gar nicht.

Wie schnell es hell wurde.
Und wie schnell eine schlafende Stadt erwachte.

Die Sonne ging auf, Vögel sangen.
Er sah hinaus, wartete immer noch.

Leute liefen umher, schlaftrunken, die Träume klebten ihnen noch in den Augen.
Kreise, dachte er. Sie laufen in Kreisen. Immer dem gleichen Ziel nach, und das Ziel rennt ihnen hinterher.

Verrückt. Dass man nur betrunken solche Gedanken hatte, so klar, so offensichtlich.
Aber vielleicht sah man ja nur klar, wenn man betrunken war.
Aus dem Kreis ausgebrochen war.

Die Bäckerschaufenster füllten sich.
Die Ampeln schaltenen um, immer wieder. Kreislauf.
Fenster gingen auf.
Wecker klingelten.
Er gähnte.
Vielleicht sollte er ins Bett gehen, warten, dass es Abend war, dass auch der Tag verschwendet war.

Er seufzte.
Er wusste, was hinter ihm herrannte.
Seine Zeit.
Und er hinter ihm.
Und der hatte ihn verlassen, weil er der Zeit hinterher lief, in dem steten Bewusstsein, dass jede Sekunde wertvolle Zeit verging. Und mit der Zeit mussten sich Dinge ändern. Dachte er wohl.

Er sah nach draußen, sein Spiegelbild war blass und sah aus wie ein Zombie.
Er musste an einen Zombie denken, wie er verschlafen und verheult aus seinem Loch kroch,
in die Sonne, und plötzlich lachte und sich regenerierte.
Romantiker.
Verdammter, hoffnungsloser Romantiker, dachte er.

Er würde jetzt ins Bett gehen.
Draußen waren zu viele Menschen.

Doch eines, dachte er, muss noch erledigt werden.
Er griff neben sich, die Sektflasche, hob sie hoch und prostete seinem Spiegelbild zu.
Die Leute draußen warfen seltsame Blicke nach oben, als ahnten sie, was für eine Trauergestalt da saß.
„Happy Birthday“, sagte er zu dem Zombie.
„Alles Gute zum 25.“
Dann nahm er die Flasche und trümmerte sie durch das Fenster.
Zumindest versuchte er es.
Die Flasche prallte ab, er bekam seine eigene Faust ins Gesicht, und während er noch träge vom Fensterbrett Richtung Komposthaufen segelte, dachte er an einen ganz bestimmten jungen Mann und einen Satz.
Dann schlug er auf und fiel in ein unendliches, schwarzes Loch.

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