Das kleine Ding

Geschrieben von Dion Enis Nikci

Vorwort

Hallo Frau Funke, ich bin kürzlich auf Ihre Geschichten gestoßen und bin sehr von Ihnen begeistert. Und wie Sie mit Ihrer Community kommunizieren und auf Ihrer Website die Chance geben, Ihre eigenen Geschichten zu entdecken, sieht man nicht oft! Ich sende Ihnen hiermit meine Kurzgeschichte, die ich eigentlich auf Englisch schrieb und auf Deutsch übersetzte und bearbeitete. Ich glaube, dass sie hierher passt. Mit freundlichen Grüßen, Dion Enis Nikci

Im Herzen eines abgelegenen Waldes, wo das Sonnenlicht auf den Felsen am See glitzert, wo die Bäume so lebendig sind wie am ersten Tag ihrer Geburt, da lebte in einer kleinen Hütte, ein kleines Ding. Es hatte keinen Namen und wusste auch nicht, woher es kam, aber es wusste, wie man für sich sorgt und mit den Lebewesen des Waldes spricht. Kochen konnte es am besten, die Pilzsuppe war sein Favorit. Leicht süßlich, sanft auf den Magen im frühen, nebeligen Morgen und stillend. Aber am wichtigsten war, dass es den Unterschied zwischen Gut und Böse kannte und die Welt verstand.
Zumindest dachte es das.
Eines Tages traf das kleine Ding auf einen gigantischen Wolf mit altem grauem Haar. Stolz trat er majestätisch aus dem Gebüsch hervor.
"Ich habe dich hier noch nie gesehen", sagte der Wolf.
Das Wesen blickte zu dem Riesen auf und sagte, "Aber ich habe dich und andere Wölfe hier auf der Jagd gesehen", und brach sich dabei fast das Genick.
"Das müssen wir auch, wir werden hungrig."
"Aber warum esst ihr nicht Beeren wie ich oder Nüsse wie die Eichhörnchen?"
"Es liegt in unserer Natur zu jagen, von Beeren und Nüssen können wir uns nicht den Bauch vollschlagen, wir brauchen Fleisch."
"Fleisch wie ich?" sagte das Wesen und senkte seine Stimme.
"So etwas wie dich habe ich noch nie gegessen oder gesehen, so rund und klein und pelzig. Wie heißt du?"
"Ich weiß nicht, wie ich heiße, ich glaube, ich besitze keinen Namen."
"Und deine Familie? Jeder hat eine Familie", antwortete der Wolf.
"Ich nicht", sagte das Wesen, das ihm nun nicht mehr in die Augen sehen konnte.
"Aber woher hast du dann gelernt, für dich selbst zu sorgen?", fragte der Wolf interessiert.
"Manches konnte ich einfach so, anderes musste ich selbst lernen."
Das kleine Ding warf ihm einen fragenden Blick zu, denn es war sich der Stärke und Erfahrung eines Wolfes bewusst, insbesondere des Riesen vor ihm. Also fragte es: "Aber wirst du mich fressen, Wolf?"
"Dein Fell erinnert mich an meines, nur dass du eine Farbe hast, die ich noch nie gesehen habe, bist du überhaupt von dieser Welt? Das allein ist für mich ein Grund, dich nicht zu fressen, du bist etwas Besonderes. Ich will nicht etwas Besonderes wegnehmen, nur weil ich Hunger habe."
"Aber du bist ein Wolf, das liegt in deiner Natur."
"Nur weil es in meiner Natur liegt, muss ich mich nicht an diese Regeln halten", sagte der Wolf.
"Du bist eine besondere Art von Wolf, Wolf".
"Ich bin noch nie einem Wolf begegnet, aber nach dem, was die Eichhörnchen und Rehe mir erzählt haben, dachte ich, du würdest mich in Sekundenschnelle verschlingen!"
"Ich bin jetzt alt, kleines Ding, ich bin nicht wild. Ich kann es sein, aber ich habe mich verändert. Ich bin klug geworden und habe ein eigenes Denken entwickelt, nicht das von anderen oder wie andere meinen, wie es aufgrund der eigenen Natur sein sollte."
Das kleine Ding starrte verwundert.
"Was hat dich auf diesen Weg geführt, lieber Wolf?"
"Ich habe Probleme mit einem Wolfsrudel, kleines Ding."
"Warum sollten dir deine eigenen Artgenossen etwas antun wollen?"
"Die Welt ist ein komplizierter Ort“, antwortete der Wolf.
Er beugte sich vor und trank einen Schluck aus dem plätschernden See. Das kleine Ding bemerkte, wie die bernsteingelben Augen des Wolfes im Sonnenlicht leuchteten, das sich durch die dunklen Bäume des Waldes schlich.
"Weißt du, woher das Wasser kommt?"
"Es war schon immer da, man sagt, der Schöpfer hat das alles gemacht."
"Der Schöpfer?", fragte das kleine Ding, legte den Kopf zur Seite und setzte sich auf einen Felsen, um näher auf Augenhöhe mit dem Wolf zu sein.
"Noch nie etwas vom Schöpfer gehört?"
Es schüttelte seinen pelzigen Kopf.
"Nun, ich werde dir etwas über den Schöpfer erzählen", sagte der Wolf, und das Ding spitzte seine großen Ohren.
"Der Schöpfer ist die größte Frage der Welt, derjenige, der nicht nur das Leben geschaffen hat, sondern auch alles andere, was wir sehen, riechen, hören, schmecken und fühlen. Manche glauben daran, manche nicht. Es wird hinterfragt, beurteilt und sogar gehasst. Welches zu einem Kampf führen kann. Und sogar zu Leid."
Ein Specht schallt im Wald, doch das Ding gibt sich voll und ganz den Worten des Wolfes hin.
„Es sollte logisch sein, um Sinn zu ergeben,“ fügte er hinzu.
"Ach?" reagierte das Ding.
"Wir lassen uns von anderen, denen wir vertrauen, sagen, wie alles funktioniert und was die Realität ist, aber was sie uns sagen, sind nur Theorien. Warum sollte man versuchen, Dingen, die einfach keinen Sinn ergeben, einen Sinn zu geben, nur weil man der Meinung ist, dass etwas nur dann real ist, wenn es einen Sinn ergibt."
"Dann könnte also alles möglich sein, warum nicht auch die Existenz des Schöpfers?"
"Genau", sagte der Wolf mit einem Lächeln.
"Es gibt viele Dinge auf dieser Welt, die für immer ein Rätsel bleiben werden, kleines Ding. Dinge, die keinen Sinn ergeben, Dinge, die wir nicht verstehen können, wie die sich immer weiter ausdehnende Leere über uns, wo die Sonne steht und uns wärmt, wo der Mond uns in der Dunkelheit beleuchtet und wo wir, die die auf einer Welt wie dieser stehen, so viel wissen können und doch so wenig."
"Aber dann, lieber Wolf, wo glaubst du ist der Schöpfer?"
"Man sagt, irgendwo in einem anderen Reich, sieh, kleines Ding, wir sind zwischen zwei Welten gespalten, eine in denen wir als Seelen leben können, nachdem wir in dieser einen unseren Körper verloren haben und in der anderen dem Schöpfer begegnen."
"Ich bin also eine Seele?"
"Eine Seele in einem ganz besonderen Körper, ja kleines Ding."
"Also, wenn ich sterbe, lebe ich weiter, aber als Seele? Woher weiß ich, dass ich eine Seele habe?"
Der Wolf hebt seine kräftige Pfote und zeigt auf die kleine, pelzige Brust mit dem weißen Punkt in der Mitte.
„Indem du daran glaubst, kleines Ding.“
Für eine Weile blieben sie still.
"Aber lieber Wolf, wenn ich eine Seele bin, wie lange lebe ich dann noch als solche. Was geschieht dann?"
"Das weiß niemand, wir können nur unser Leben so erfüllend leben, wie wir können und wollen, und dann, wenn es soweit ist, werden wir es sehen."
Ein langes Heulen ertönte aus den Tiefen des Waldes, gefolgt von weiteren. Die Tiere des Waldes verstummten. Der Wolf und das kleine Ding wandten ihren Blick in die Richtung des Heulens.
"Ich muss jetzt gehen." sagte der große Wolf.
"Die Heuler, sind das die, mit denen du Probleme hast, großer Wolf?"
"Ja", sagte er. "Ich sollte gehen."
Die großen Ohren des kleinen Dings senkten sich.
"Es war mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen."
"Danke, großer Wolf."
Der große Wolf hielt einen Moment inne, betrachtete das Panorama und versuchte, den Moment einzuprägen, um ihn in Erinnerung zu behalten, bevor er sich von dem kleinen Ding trennen und seinem Schicksal entgegengehen musste. Der Wolf schloss die Augen und atmete die frische, kühle Luft ein. Als er sie wieder öffnete, blickte er seinen seltsamen kleinen Freund an und schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln.
"Bis wir uns wiedersehen, in einer anderen Welt."
Und das kleine Ding sah ihm nach, wie er in die Ferne ging, wo er langsam zwischen den Eichen verschwand.

Zu dieser Geschichte gibt es 1 Kommentar

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Mila – 19. Februar 2023

Die Geschichte ist sehr weise. Und ich kann mir nicht vorstellen dass ein Kind sie geschrieben hat. Eine gute Geschichte Liebe Grüße Mila