Nancy Vo Illustratorin aus Kanada

Website
Foto: Makito Inomata (https://www.makito.ca/people)

Foto: Makito Inomata (https://www.makito.ca/people)

Was war deine allererste Illustration?

Oh, das wüsste ich selbst gern! Ich bin sicher, diese allererste Zeichnung gibt es nicht mehr. Das liegt so lange zurück. Wenn ich die Zeichnungen meiner Kinder sehe, dann entdecke ich darin wieder, wie es war, keine Angst vor dem leeren Blatt Papier zu haben. Und genau wie meine Kinder es tun, habe auch ich mir die Geschichten laut erzählt, während ich die Bilder dazu malte. Die gestalterische Furchtlosigkeit ist etwas, das ich mir als Erwachsene zurückwünsche.

Hast du einen Lieblingsillustrator?

Wenn ich mich zurückversetze in die Zeit, in der ich begann, an Bilderbüchern zu arbeiten, dann waren das Jon Klassen, Kris di Giacomo und Shaun Tan. Sie gehören immer noch zu meinen Favoriten, aber sie haben mittlerweile mehr Gesellschaft bekommen.

Hast du einen Lieblingsplatz zum Illustrieren?

Ich hätte gerne ein Atelier wie das, was ich vor zwei Jahren mal gemietet hatte. Es war in einem Gebäude neben einem Bahnhof und einer alten Zuckerfabrik. Es hatte fantastische Dachfenster für ein natürliches Licht. In den anderen Räumen arbeiteten Künstler an ihren Filmprojekten. Es war eine sehr produktive Zeit — zwei intensive Monate von der Planung bis zur Fertigstellung meiner Zeichnungen. Dieses Jahr, im Corona Jahr, mussten wir alle kreative Wege finden, den Raum in unserem Zuhause zu nutzen. In meinem Fall ist das eine kleine Eigentumswohnung und zur Zeit arbeite ich an einem niedrigen Bücherregal oder am Küchentisch. Grundsätzlich funktioniert es mit jeder leeren, flachen Oberfläche.

Illustration aus Nancy Vos Crow Stories Trilogy, erschienen 2019 bei Groundwood Books

Illustration aus Nancy Vos Crow Stories Trilogy, erschienen 2019 bei Groundwood Books

Gibt es eine Wunschgeschichte, die du gerne mal illustrieren würdest?

Bevor ich mit der Arbeit an meinem aktuellen Projekt begann (ein Buch der Autorin Sarah Ellis über den Pianisten Glenn Gould) hätte ich wohl anders geantwortet. Aber jetzt bin ich so dankbar für das, was ich lernen durfte, und was ich bestimmt nicht gelernt hätte, wäre es eine Geschichte meiner Wahl gewesen. Ich habe allerlei Abstecher gemacht in dieser Zeit und habe sogar gelernt, Klavier zu spielen — zwar nicht sonderlich gut, aber immerhin ...

Illustration aus "The Ranger", erschienen 2019 bei Groundwood Books

Illustration aus "The Ranger", erschienen 2019 bei Groundwood Books

Gibt es eine Illustration, auf die du besonders stolz bist?

Es gab einmal eine letzte Illustration, die ich zu zeichnen hatte für ein Projekt und ich war ratlos, was die Umsetzung betraf. Dann hatte ich eine Inspiration. Ein Film der Coen Brüder brachte mich darauf. Ich hatte den Film selbst nicht gesehen, aber ich erinnerte mich sehr gut an das Filmplakat, weil es in mir ein bestimmtes Gefühl auslöste. Der Film war "Miller’s Crossing" — ein Mann kniet im Wald und fleht um sein Leben, während ein anderer Mann mit einer Waffe vor ihm steht. Es war für mich die Lösung, die ich suchte, für die angespannte Begegnung zwischen Annie und dem Fuchs (aus meinem Buch "The Ranger") und die Ungewissheit, was dabei herauskommen würde. Statt einer Nahaufnahme gab es eine Darstellung in der Totale der Szene aus einer sehr niedrigen Perspektive.

Illustration aus "The Ranger", erschienen 2019 bei Groundwood Books

Illustration aus "The Ranger", erschienen 2019 bei Groundwood Books

Was macht für dich den Beruf des Illustrators aus?

Ich mag an der Illustration den Aspekt des Problemlösens. Die Illustration unterscheidet sich vom Kunstwerk als Form der Selbstdarstellung. Damit meine ich nicht, dass man sich in der Illustration nicht ausdrücken kann. Aber ich denke, in der Illustration geht es darum, etwas Bestimmtes zu kommunizieren. Mit Bilderbüchern vermittelt man etwas Fortlaufendes, man erzählt eine Geschichte. Und meist ist es ein Zusammenspiel von Worten und Bildern. Beide Elemente müssen zusammen arbeiten. Man gibt nicht einfach in Bildern wieder, was die Worte sagen. Die Illustrationen können der Geschichte eine weitere Ebene geben, oder sie können die Geschichte erzählen, wenn es keine Worte gibt, so wie es wortlose Bilderbücher tun.